Interviews aus vergangenen Zeiten – 2009
Die Sounds dazu gibt es hier: Laptopbattle 2009 Stuttgart
Ich will Kunst. Punkt.
Hakan Kücükyilmaz ist Programmierer in der Open-Source Szene, die Computerprogramme zur freien Nutzung herstellt. Überdies ist er auch einer der Veranstalter des Laptopbattle Stuttgart 2009. Wir treffen uns am Vortag des Battles in den Stuttgarter Wagenhallen und unterhalten uns bei selbstgedrehten Zigaretten und einem Glas kühlem Bier.
Wieso machst du das Battle gerade in Stuttgart?
Weil ich hier in der Gegend aufgewachsen bin. Ich bin in Esslingen geboren, 76er Jahrgang und da, wo einem das Umfeld gewogen ist, wo man seine Beziehungen und Freunde hat, ist es natürlich einfacher, Veranstaltungen zu machen, die nicht mit viel finanziellem Sponsoring über die Bühne gebracht werden können. Ich kenne hier professionelle Designer, ich selber bin Programmierer; daher kann ich die Websites selber programmieren. Dann kenne ich DJs, die ich nicht teuer für die Afterparty buchen muss.
Wobei letztes Jahr hast du den DJ eingeflogen.
Der war zu teuer, aber der hat dann auch wieder Gäste gezogen, die uns dann die Kasse gerettet haben.
Wo kam das Geld für den her?
Aus meiner Tasche!
Du finanzierst das persönlich?
Ja, weil ich an die Sache glaube.
Wird man damit reich?
Im Gegenteil, ich habe bis jetzt einen mittleren vierstelligen Eurobetrag drauf gezahlt.
Was ist das genau, »Laptopbattle«?
Laptopbattle ist eine Veranstaltung für elektronische Musik, um aktuelle Trends in der Musikszene einem größerem Publikum vorzustellen und die Künstler, Bedroomproducer nennt man das mittlerweile, auch mal auf eine Bühne zu bekommen und vor größeres Publikum zu stellen. Denen auch eine Chance zu geben, ihre Musik zu präsentieren. Natürlich denkt man sich, Battle gegeneinander, Leistungsdruck, was soll das, aber das ist eigentlich nur der äußere Rahmen, um auch Publikum anziehen zu können. Weil man braucht einen Veranstaltungsraum, eine Soundanlage, das muss alles gezahlt werden. Um Publikum anzuziehen muss man eine gewisse Spannung erzeugen. Die Künstler sehen das eher freundschaftlich, jeder stellt halt was vor und einer kommt weiter, einer nicht. Manche ärgert’s, die meisten nicht. Für das Publikum erzeugt das natürlich eine gewisse Spannung, wer weiter kommt und wer nicht. Das ist ein uraltes Prinzip, das Duellieren, früher mit Schwertern, dann mit Pistolen, dann kamen Poetryslams, Breakdancebattles, DJ-Battles, Beatboxbattles. Ich habe in meiner Jugend fünf, sechs Jahre lang Breakdancebattles gemacht in Wendlingen, meinem Heimatort.
Als Breakdancer?
Als DJ und Veranstalter. Wir hatten ja kein Geld. Ich habe zwei Sommerferien gearbeitet; damit ich mir die Plattenspieler kaufen konnte. Einer kostete 900 Mark, das war ein Heidengeld für einen 15jährigen.
Wie hast du die Teilnehmer dafür gefunden?
Die kamen aus meinem Umfeld heraus. Wir waren eine Gruppe von ziellosen Jugendlichen, halt typisch Gastarbeiterkinder der ersten Generation. Weder türkisch, italienisch, weder richtig Ausländer noch richtig deutsch, leider auch kein Geld in der Tasche, um mit auf die Skiausflüge zu gehen. Also mussten wir uns schon selber um irgendwas kümmern. Die meisten von uns sind entweder abgeschoben worden, an Heroin gestorben, oder sind in zwielichtige Geschäfte rein. Oder man hat halt geschaut, wie man sich sonst beschäftigt, ohne kriminell zu werden. Wir haben darauf geachtet, dass wir uns sauber halten und dadurch entstanden auch sehr enge, tiefe und intensive Freundschaften.
Auch wenn am Anfang der Breakdancebattles nur drei Leute da waren, aber das waren echte Freunde. Aus diesen drei wurden dann fünf, nach sechs Jahren zweihundert. Nachdem der Flur vom Jugendhaus voll war, durften wir sogar keine Gäste mehr rein lassen. Dann hat es draußen Randale gegeben. Das größte, was wir je geschafft haben, war in Esslingen, da waren 400 Gäste. Wir hatten dann sogar Gäste aus Italien. Also, aus diesen paar Jungs, die um uns herum waren – der eine kennt natürlich den anderen, der andere hat in Sizilien einen Freund – auf einmal wurde das ein riesen Netzwerk. Dann kam aber der Umbruch, man wird älter, die einen verlieben sich, die anderen machen Lehre, Studium, ich habe ein Studium angefangen, und dann haben wir uns alle verloren. Nach dem Studium bin ich dann bei einer großen Softwarefirma bei Heidelberg gelandet. Dieser verschworene Kreis von Leuten, die sich sauber halten wollten, hat sich aufgelöst.
Uns war nicht langweilig, wir hatten Hunger.
Dann war ich bei dieser internationalen großen Softwarefirma, wo sich viele Menschen aus China, Indien, Japan, USA treffen und zusammen arbeiten. Da war auch jemand von Intel dabei, der hat gemeint, dass Intel in den USA so ein Laptopbattle gesponsert hat. Dann habe ich mich damit beschäftigt und gesehen: Das machen die Amis, das machen Engländer, das ist so eine lose weltweite Untergrundbewegung. Dann habe ich angefangen nachzudenken: Was ich mein Leben lang gemacht habe, wohin die Musikindustrie gegangen ist und wo die Informationsgesellschaft hingeht. Solche viel, viel tiefere Sachen stecken dahinter.
Weshalb sind dieses Jahr so viele Künstler abgesprungen?
Ich glaube, das ist die deutsche Mentalität. Ein Deutscher ist verliebt in Details, wenn er was macht, will er das richtig machen. Ich verehre das, ich fühle mich auch im Ausland nicht mehr richtig wohl, diese deutsche Detailverliebtheit habe ich mittlerweile verinnerlicht. Allerdings im künstlerischen Bereich sollte man auch lockerlassen, oft entstehen aus Fehlern auch interessante Sachen. Die Show zählt auch, die Engländer hatten einen, der hat bei einem 15-Zoll-Röhrenmonitor die Röhre rausgebaut, dann das Plastikgehäuse über seinen Kopf gestülpt und damit dann auf seinem Laptop rumgehackt. Geile Show. Oder die Neuseeländer: Der Gewinner hat am Ende eine Bohrmaschine rausgeholt und live seinen laufenden Laptop durchgebohrt. Die Entwicklung sieht auch so aus, dass die Künstler mittlerweile ihr VJ und ihre Musik zusammen machen können. Das ist auch mein Traum, wenn der Laptopbattle-Künstler sein Videozeug live auf die Leinwand werfen kann. Da kann man schon heftige Sachen machen. Es gibt mittlerweile Läden, wo es eine 360°-Videoinstallation um den ganzen Raum herum hat. Wenn du dann noch so einen 7.1-Surround-Sound hast, kannst du extreme Sachen damit machen. Also Leute in Ohnmacht fallen lassen. Das geht. Speedy J hat so eine Show einmal gemacht.
Speedy J höre ich öfter bei dir, den hast du doch als eines deiner Lieblingsalben genannt.
Mein Lieblingsalbum ist von Public Enemy. Das waren die ersten, die das Gefühl der Gastarbeiterkinder für uns, für unsere Generation widerspiegeln konnten. Weil die Diskriminierung, die sie in den Staaten gesehen hatten, erkannten wir wieder. Was die »Nigger« nannten, waren bei uns »Kanacken«. Das waren die ersten, die wirklich Sinn und Inhalt mit ihrer Musik für uns verständlich rüber gebracht haben, das war kein Kommerzbullshit. Wir hatten echte Probleme, existenzielle Probleme. Uns war nicht langweilig: wir hatten Hunger. Die haben das zur Sprache gebracht, mit einer Gewalt in der Stimme. Das hat uns Kraft gegeben nicht aufzugeben. Ich war zehn, als ich merkte, dass ich Ausländer bin. Zwei Zehntklässler haben mich im Dezember genommen, auf den Boden geschmissen, zwei Meter Schnee über mich geschüttet und gesagt: »Du Dreckskanacke«. Da bin ich zu meinen Eltern gerannt und hab gesagt: »Die nennen mich Kanacke, was ist los?« Und dann haben meine Eltern mir das erklären müssen und ich habe kein Wort verstanden, was die gesagt haben. Ich habe das nicht kapiert, was »Ausländer« ist. Ging nicht. Im Diktat war ich besser als die Schwabenseggel, weil ich Hochdeutsch konnte. Trotzdem warst du ein »Kanacke«. Du hattest schwarze Haare, schwarze Augen. Wir sind zweisprachig aufgewachsen, das ist sehr schwierig am Anfang, später ist das ein Vorteil. Mit zehn Jahren im Schnee eingegraben worden zu sein und zu merken, dass man ein »Kanacke« ist, ist schon ein gewisser Schock. Da hat mir diese Musik Kraft gegeben. Ich wollte nie dazu gehören, aber war trotzdem Teil davon. Ich habe halt immer ins Schema gepasst, dunkle Haare, dunkle Augen – »Kanacke«, fertig.
Ich habe das nicht kapiert, was Ausländer ist.
Fühlst du dich jetzt noch als »Kanacke«?
Nein, das Umfeld hat sich geändert, weil man mittlerweile mit Ingenieuren, Akademikern, Doktoren und Professoren Umgang hat, da zählt so was nicht mehr. Wenn ich aber heute an meine Ferienjobs zurückdenke: »Hakan, du mach Lager sauber!« sag ich: »Ey Alter, i laber schwäbisch, du Depp!« Dann sagt der: »Du fliegst raus, wie schwätzt du mit mir!?« Das gibt es heute noch! Wenn du in die Dörfer gehst, das sind Nazis! Wir hier in Wendlingen, wir hatten 20% für die Republikaner, so Geschichten. Das kann man sich nicht vorstellen! Ich kann dir von meinem Studium zum Beispiel erzählen, ich habe mich immatrikulieren lassen, ich habe beim Vorpraktikum irgendwie etwas nicht genau durchgelesen, was ich alles brauche, da sagt die im Studentensekretariat: »Sie solltet scho gucken, dass sie die Bedingungen hier erfüllet. Wisset Se, wie viel Deutsche auf ihren Platz wartet?« So Sachen hörst du noch. Das war ‘98. Aber mittlerweile stehe ich drüber, das sind Einzelfälle.
Was hat sich musikalisch geändert in der Zeit?
Was einen DJ damals ausmachte, war: Der ist nach London geflogen, hat Platten gesucht und uns Clubgängern Sachen vorgespielt, die wir unser Lebtag nicht hätten finden können. Obskure Sachen, die tanzbar waren. Mittlerweile ist das keine Kunst mehr, du gehst zu Beatport, Youtube und findest dort alles. Ich höre alles, was die DJs spielen, also muss ein DJ heute mehr bringen, so kommen wir auch langsam zum Laptopbattle. Weil der Laptopartist, der macht Neues. Komplett Neues.
Jetzt komme ich zu einem Zitat – warum mache ich das? Es gab eine Zeit, wo sich Menschen, wenn sie sich unterhalten haben wollen, selber aktiv etwas machen mussten. Entweder Volleyball spielen oder selber musizieren und singen. Irgendwann kam aber das Grammophon auf, womit man Kunst konservieren konnte. Schon 1927 hat Aldous Huxley folgendes geschrieben: »The machinery – mit ‘machinery’ meint er das Grammophon – verwandelt die Gesellschaft in einen passiven Konsumenten.« Er kann sich sehr schwer vorstellen, dass dadurch irgendwie Kunst und Neues entstehen kann. Wenn man sich anschaut, wie die Musikcharts funktionieren: Die haben nichts mit der Gesellschaft mehr zu tun. Ein großer Musikproduzent geht hin, produziert aufgrund von Marktforschung irgendeine Teeniegruppe, presst 100.000 CDs, gibt sie auf Kommission den großen Handelsketten wie Pro-Markt, Media Markt, usw. Die Charts funktionieren mittlerweile so, dass diese CDs in die Charts kommen, ob sie verkauft sind oder nicht. Dann ist das Ding in den Top-Ten. Und wir sind ja mittlerweile in einer Gesellschaft, wo man mit der Masse gehen muß, um dazu zu gehören. Man denkt ja nicht mehr selber, man lässt andere denken. Das habe ich auch im Studium bemerkt: »Wo kann ich das nachlesen, wie gehe ich das an?« Keiner geht mehr Probleme selbstständig an und das ist traurig. Und jetzt komme ich dazu, weshalb ich die Laptopbattle veranstalte: Wir holen das zurück, wir holen die Musik wieder zu uns, wir machen die Musik mittlerweile selber, wir unterhalten uns selber, wir entscheiden, was wir hören wollen. Im Gegensatz zur Musikwirtschaft, die versucht, kopierte Medien zu verkaufen. Und wenn jemand nicht mehr gehört wird, dann sollte man sich überlegen, ob Qualität dahintersteckt. Ich habe keine Lust mehr auf Britney Spears! Das sind Produkte, das ist keine Kunst mehr. Ich will Kunst! Punkt.
Die Welt pervertiert, wir müssen dagegen halten. Das geht nicht mehr so weiter. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Genauso wie damals ich mit zehn mich nicht unter dem Schnee begraben lassen habe von diesen Möchtegernnazis, sollten wir uns heute nicht von der Musikindustrie prellen lassen. Ich werde wahrscheinlich auch in den nächsten Battles soweit gehen und alle Samples freigeben und wenn ich genügend Sponsoren habe, die Klagesummen damit aufheben.
Einfach als Rebell.
Alexander Weller | Grundlagen des Schreibens | Sommersemester 2009 | Kommunikationsdesign | HTWG Konstanz